Archiv der Kategorie: Splitter

Erbarmungslose Meute von (Schweizer) Journalisten

Meute_20141014_133306_neuDer ex UBS-Manager Raoul Weil steht in Fort Lauderdale (Florida) vor Gericht. Anklage: Beihilfe zum Steuerbetrug im grossen Stil. Es drohen ihm fünf Jahre Gefängnis. Zum Prozessauftakt sind heute diverse Schweizer Medien angereist, und – ach ja, zugegeben, ich bin einer von ihnen. Neben dem Geschehen im Gericht interessiert vor allem eines: Schnappschüsse des Angeklagten. Weil im Gerichtssaal und auf dem Areal Kameras verboten sind, warten Fotografen, Kameraleute und Journalisten (mit Handy bewaffnet) mehr oder weniger geduldig auf dem Trottoir an der Strassenecke.

Ampel_20141014_133404_neuIn der Mittagspause ist es endlich soweit. Wie die Hyänen lungern die Medienleute herum, schalten jetzt die Geräte ein, zielen und – drücken ab. Raoul Weil und seine Frau Susanne ertragen den Spiessrutenlauf mit Fassung. Sie halten Händchen und versuchen permanent zu lächeln. Sie wollen – begleitet von Anwälten – über die Strasse, vergessen aber, den Knopf an der Ampel zu drücken. So bleibt es ewig rot, und die Kameras kommen rege zum Einsatz. Endlich grün! Aber die Meute verfolgt die Beute über die Strasse und noch weiter. Dann lässt sie sie plötzlich ziehen, irgendwie scheint eine Beisshemmung zu greifen, je weiter sich das Paar vom Gerichtsgebäude entfernt. Ein erbärmliches Schauspiel eigentlich. Und ich frage mich: Braucht das die Schweizer Öffentlichkeit wirklich? Oder ist es blosse Selbstbefriedigung der Journalisten?

Werbung

Blauer Riese schlägt Gelben Riesen

us post officeDa schicke ich eine Geburtstagskarte in die Schweiz, korrekt frankiert. Und rechtzeitig. Briefpost aus Boston benötigt meist nur drei bis fünf Tage. Aber diesmal finde ich das Couvert zwei Tage später im eigenen Briefkasten wieder. Mein Fehler, wie sich herausstellt. Ich hatte die Etikette mit dem Absender – mit meiner eigenen Adresse also – irrtümlich links unten statt links oben auf den Brief geklebt (oder auf die Rückseite). Mit fatalen Folgen, denn die Sortiermaschinen beginnen immer unten mit dem Lesen.

Dennoch gehe ich zur Post, um zu reklamieren. Es ist punkt 18.01 Uhr, kein Problem, die Post hat jeden Tag von 6 Uhr früh bis Mitternacht offen, auch am Wochenende. Ich ziehe die Nummer 555. Auf dem Zettel steht die zu erwartende Wartezeit, null Minuten. Tatsächlich wird meine Nummer sehr bald aufgerufen.

Ich habe vorsichtshalber einen neuen Briefumschlag dabei. Das wäre aber nicht nötig gewesen. Die Frau am Schalter erklärt mir kurz den Irrtum, klebt die Etikette eigenhändig an die richtige Stelle und stempelt den Brief neu ab. Kostenlos. Ich entschuldige mich kurz. „Nein, nein, Sie haben keinen Grund, sich zu entschuldigen“, sagt sie. Und schon ist der Brief wieder unterwegs. Wow! Genau das verstehe ich unter Service Public. Ich wage nicht daran zu denken, was in der Schweiz passiert wäre: Lange Wartezeit, unfreundliches Personal, Poststelle schon geschlossen, Porto nochmals bezahlen?

PS: Der Blaue Riese, der United States Postal Service (U.S.P.S.), ist NICHT privatisiert. Und die Poststellen sind NICHT Gemischtwarenläden, bieten aber alles an, was rund um das Versenden von Briefen und Paketen benötigt wird. Dennoch kostet ein Übersee-Brief (Standard, Economy, bis 50 Gramm) nur 1.10 Dollar, und nicht 2.80 Franken wie beim Gelben Riesen.

Notvorrat und Hafenkran halten das Land in Atem

Die Schweiz ist halt doch ein sehr lustiges Land. Wir wissen zwar um die Klimaerwärmung und die schleichende Umweltzerstörung, die Working Poor und die Sorgen um die Zukunft der AHV. Aber wir haben weit wichtigere Dinge zu diskutieren. Derzeit dominieren auf der Strasse, in den Medien und ergo am Stammtisch zwei fundamentale Themen: Notvorrat und Hafenkran. Wie bitte? Habe ich etwas verpasst? Worum geht es? Das muss ja furchtbar wichtig sein, auf Twitter führen die beiden Themen mit Abstand die Hitliste an (siehe Grafik, mit Dank an SRF-Medienjournalist Konrad Weber).

Eine kleine Recherche – Google reicht vollkommen – löst das Rätsel. Armeechef Blattmann sprach in einem Interview unter anderem von der Bedeutung eines Notvorrats – er selber bunkert Wasser und Brennholz. Hmmm, wirkt irgendwie überholt… Aber daraus eine landesweite Diskussion machen? Ach, und in Zürich dreht sich alles um das neue, temporäre Kunstwerk am Limmatquai, den alten Hafenkran aus Rostock. Jetzt steht er wenigstens da, der Disput darüber läuft ja schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Ruhe in Frieden, liebe Eidgenossenschaft.

Der Kommentar der Kassierin

In der Schweiz erlebe ich das nie. Ich stehe an der Kasse bei Migros oder Coop, und die Kassierin kommentiert meine Einkäufe: „Aha, gibts heute Abend Spaghetti Carbonara.“ Oder: „Hmmm, gute Wahl, und erst noch gesund.“ Das ist undenkbar in der Schweiz.

Nicht so in den USA, hier gehört der Smalltalk an der Kasse dazu. Die Kassierin fragt nicht nur, wie es heute so geht, sondern sie denkt laut nach über die Waren, die sie einscannt. Kürzlich kaufte ich im Publix nur sehr wenig ein, dafür ganz besondere und für amerikanische Verhältnisse saumässig teure Sachen: Prosciutto di Parma, importiert aus Italien, eine Flasche Pinot Noir, importiert aus Australien, und eine grosse Portion Sushi, frisch zubereitet vom japanischen Koch im Supermarkt. Alles zusammen kostete rund 30 Dollar. Die Kassierin meinte: „Wow, was für ein gutes Dinner heute! Aber ziemlich teuer…“ Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn für 30 Dollar kann hier eine vierköpfige Familie auswärts essen gehen – aber eben nur bei Burger King oder Taco Bell.

Leider NOT Born in the USA

Ich bin NICHT in den USA geboren. Okay. Aber was ist der Unterschied? Ich fühle mich hier – in den USA – viel mehr zu Hause als in der Schweiz, wo ich geboren bin. Das ist mir gerade heute Abend wieder aufgefallen, als ich bei Sonnenuntergang am Beach war, in Hollywood, Florida. Es war so friedlich, wie ich es in der Schweiz kaum je erlebt habe. Und die Menschen sind einfach viel netter als in der Schweiz – auch zu mir, obwohl ich hier Ausländer bin, nota bene.

Im Radio läuft „Born in the USA“ von Bruce Springsteen, auf 102.7, „MAJIC 102.7 – The Greatest Hits of the 60s & 70s“, mein Lieblingssender. Der Song ist schon alt, wird aber immer wieder gespielt, ganz besonders am Independence Day, dem Nationalfeiertag, dem 4. Juli. Die Leute haben dann Tränen in den Augen. In der Schweiz gibt es zum 1. August nichts Vergleichbares, oder täusche ich mich? Ein Heimatlied wie „Dr Bueb vo Trueb“? Born in Switzerland? Ich glaube, dass viele Schweizer gar nicht stolz darauf sind, in der Schweiz geboren worden zu sein. Der Stolz ist wohl bei manchen in Arroganz umgeschlagen, nach dem Motto: Ich bin hier, aber das Boot ist nun voll. Oder gibt es für diese Menschen am Ende gar nichts mehr, worauf sie stolz sein können? Dann halte ich mich lieber an Bruce Springsteen…

Das clevere Schneiderlein von Hollywood

Was, wenn der neue Duvet-Anzug 20 Zentimeter zu lang ist? Umtauschen, klar. Aber was, wenn ich den Anzug in Deutschland gekauft habe – wegen der besonderen Masse, die es in der Schweiz nicht gibt – und jetzt in Hollywood, Florida, in unserer Wohnung stehe, mit dem Duvet und dem zu langen Anzug in der Hand? Das nervt. Den Reissverschluss heraustrennen, Stoff abschneiden und den Reissverschluss wieder einnähen? Puhhh, was für eine Arbeit!

Da erinnern wir uns an einen indischen Schneider, der für sehr wenig Geld Änderungen macht. Nichts wie hin. Wir zeigen ihm das gute Stück und erklären ihm das Problem. Er denkt kurz nach und sagt dann, sowas mache er nicht, mit dem Reissverschluss. Da müssten wir schon zu einem Spezialisten gehen. Wir sind enttäuscht und wollen wieder gehen, als das clevere Schneiderlein sagt: „Ich könnte natürlich am andern Ende kürzen, dort ist es viel einfacher, weil dort kein Reissverschluss ist.“

Das war die Lösung, so einfach, aber wir wären nie darauf gekommen, wir waren so fixiert auf den Gedanken, dass der Anzug zu lang war, also unten gekürzt werden müsste. Gesagt getan – und bei einem Preis von 10 Dollar erst noch spottbillig.

1001 Nacht statt Heiliger Abend

Ich muss nochmals kurz zurückblenden, auf den Heiligen Abend, obschon dieser schon Ewigkeiten zurückzuliegen scheint. Statt „Stille Nacht, Heilige Nacht“ gab es dieses Jahr 1001 Nacht. Und zwar in Orlando, Florida, im Epcot Center. Das ist so eine Art permanente Weiterbildungs- und Landesausstellung. Und eines der vertretenen Länder ist Marokko. Fast wie echt. Man wähnt sich am berühmten  جامع الفناء (Djemaa el Fna). Und im Restaurant Marrakesh geniesst man Tagine oder Couscous. Dazu trinkt man Beni M’tir, aus Marokko importierten, grässlichen Rotwein.

Die Schweiz fehlt übrigens im Epcot. Aber das macht nichts. Wer denkt bei diesem warmen Wetter, wie es in Florida selbst am 24. Dezember herrscht, schon an Fondue und Raclette.

Amüsant war der Auftritt einer Bauchtänzerin. Nicht wegen ihr. Aber so manch ein Amerikaner war total aus dem Häuschen. Sowas – öffentlich! Jedenfalls nichts von „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Wenn sie halbnackte Frauen sehen wollen, gehen die Männer ja normalerweise auf einen Drink zu Hooters oder so – und lassen ihre Frauen und Kinder zu Hause.